1933 – Ohnmacht und Niedergang im  3. Reich

Der damalige Schriftführer Konrad Hollerieth schrieb am 1.1.1933  in der Kolping-Chronik in weiser Vorausahnung:

Treu Kolping!

Das alte Jahr ist verflossen ein neues geht ins Land, dunkel liegt es vor uns. Wir wissen nicht was es bringen wird. Es ist gut so, unser Herrgott weiß es ja. Aber eines muß es bringen das neue Jahr: Ganzes Beten und ganzes Arbeiten von unserer Seite. Der da oben der tut das seine schon, und wenn wir nur das unsere tun, dann wird es besser. Aber daß dieses unser ganzes Beten und ganzes Arbeiten sein muß, dürfte endlich verstanden werden. Darum laßt uns gleich bei Jahresanfang still die Hände falten und empfehlen den tiefen Ernst dem Vater im Himmel uns selbst unsere Familien und unser Volk. So wollen wir es halten jeden Tag. Und wenn von Arbeit, ganze Arbeit gesprochen wird so sei hier nicht nur an die Arbeit im oder für den Beruf in Werkstatt und Unterrichtskursus gedacht; vor allem meine ich die ganze, starke, sinngebende Mitarbeit am Schicksal unseres Volkes, nicht Politik, aber Kolpingarbeit, und darum spreche ich das aufreizende Wort: Kolping erwache! Möge nun dieser Leitsatz auch für den Kath. Gesellenverein Kirchseeon geltend sein, damit in diesem Jahr auch unser Verein mehr Gedeihen verzeichnen kann.

Wünsche nun H.H. Präses, sowie dem Senior u. allen aktiven und passiven Mitgliedern ein gesegnetes neues Jahr.

Konrad Hollerieth, Schriftführer"

Die weiteren Einträge lassen erkennen, wie die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten auch den katholischen Gesellenverein Kirchseeon langsam zum Erliegen brachten.

So berichtet K. Hollerieth  am 1.2.1933 davon, daß wegen mangelnder Teilnahme es der Präses nicht der Mühe wert fand einen Vortrag abzuhaltenund so kam es zu einer offiziellen Unterhaltung der Politik. Und indem auch zugleich der neue Reichskanzler Adolf Hitler im Rundfunk sprach war die Unterhaltung ganz passend.“

Am 15.3.1933 schließlich heißt es: „In dieser Versammlung wurden die Wahlergebnisse v. 5.3.33 mehr oder minder durchgenommen sowie die Stellungnahme zur jetzigen Regierung.“

Zu dieser Zeit war es wohl noch normal, daß man sich in den regelmäßigen Zusammenkünften auch mit der aktuellen Politik auseinandersetzte. In der Folgezeit jedoch hat man es dann wohl aus verständlichen Gründen unterlassen, hierüber in der Chronik zu berichten. Deshalb lesen sich dann viele Einträge sinngemäß so wie derjenige vom 17.5.1933:

„Nach der Erledigung des geschäftlichen man zur gemütlichen Unterhaltung über.“

Dennoch glaubte zu diesem Zeitpunkt noch niemand an das Ende. Denn am 31.5.1933 schrieb der Chronist:

„Diese Versammlung war lediglich nur den Besprechungen über Beteiligung am deutschen Gesellentag vom 8.-11. Juni in München gewidmet.“

Wie diese Beteiligung aussah, darüber gibt es zunächst keine näheren Hinweise. Es ist bekannt, daß der Gesellentag in München von den Nationalsozialisten zum Teil blutig niedergeschlagen wurde und für viele mutige Gesellen hier ihr späterer Weg ins KZ Dachau begann.

 

Der damalige Senior Alois Birner berichtete als Augenzeuge über das damalige Geschehen am 23.6.1983 vor den Mitgliedern der Kolpingsfamilie Kirchseeon. Darüber berichtete die „Süddeutsche Zeitung“ ausführlich wie folgt (auszugsweise):

"Naziterror gegen Gesellen.

Die christlichen Bekenntnisse werden im neuen Deutschland ihre geistigen Kräfte voll und ungehindert entfalten können, ... der Kanzler und ich selbst werden Garanten dieses Versprechens sein.“ Verheißungsvolle Worte fand der katholische Vize-Kanzler von Papen in seiner Begrüßungsansprache beim ersten Deutschen Gesellentag vom 8. bis 11. Juni 1933 in München. Doch die Wirklichkeit sah ganz anders aus. Durch den Einsatz der SA wurde nicht nur diese Großversammlung von Kolping-Anhängern zerschlagen, sondern zugleich die Haltung der Nazis gegenüber der Römisch-katholischen Kirche auf brutalste Weise dokumentiert ...


„Die Schläger waren ganz narrisch auf die orangefarbenen Hemden“
erinnert sich Alois Birner als Augenzeuge des Willküraktes vor fünfzig Jahren. „Sie rissen jedem, den sie erwischen konnten, die Kleider vom Leibe.“  Nach diesen Ausschreitungen habe niemand mehr bezweifelt, daß der Naziterror auch vor kirchlichen Einrichtungen nicht halt mache, daß die Kirchen als selbständige Organisationen nicht würden weiterbestehen können. „Nicht auszudenken“, so Birner, „wenn dieses Lumpengesindel den Krieg gewonnen hätte.“ ...

Das Jahr 1933 zählt zu den dunkelsten Kapiteln seiner Arbeit in der katholischen Vereinigung. „Nach der Machtergreifung Hitlers mußten viele Kolping-Anhänger ihren Austritt erklären, sie hätten sonst ihren Arbeitsplatz verloren.“ Aber das sei nur der Anfang einer bis ins Detail geplanten Hetzkampagne gewesen, die bewußt auf eine Gleichschaltung oder Zerschlagung katholischer Vereinigungen abzielte. An die zwanzigtausend Gesellen waren, teils zu Fuß oder mit dem Radl nach München gekommen.

Die Antwort des NS-Regimes auf diese friedliche und gut organisierte Versammlung: Blinde Zerschlagung zum „Schutz des öffentlichen Ansehens der Kirchen“. Die Teilnehmer des Treffens wurden beschimpft und geschlagen, ihre Kleidung zerrissen, hunderte von Bannern verbrannt. Der Gesellentag mußte vorzeitig abgebrochen werden. „Ich wurde auf dem Weg zur Aussegnungshalle von Passanten gewarnt“, erinnert sich Birner, „so konnte ich unser Banner noch rechtzeitig in Sicherheit bringen.“

In München sollte ein Exempel statuiert werden als Warnung an alle unabhängigen Vereinigungen, die Gewaltakte der SA bewirkten jedoch genau das Gegenteil: bei ihrer Abfahrt aus dem Münchner Hauptbahnhof flatterten unzählige Kolping-Banner aus den Zugfenstern. „Die grauenvollen Ereignisse“, so Birner, „haben unsere Gemeinschaft ungeheuer gestärkt.“

Soweit der Bericht der SZ über die Erinnerungen unseres geachteten Ehrenmitgliedes Alois Birner.

 

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